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Eine kleine Geburt, ein kleines Wochenbett {Sternenkind 10/2015}

Ich bin müde, so sehr müde.

Die letzten Tage hätte ich nur im Bett verbringen können, so als wären die Schwangerschaft, der Jobbeginn und das Verstecken anstrengend wie ein Marathonlauf gewesen. Wahrscheinlich sind es aber eher der Eingriff samt Vollnarkose und die abfallenden Hormone, die mich so antriebslos machen.

Als ich vor 6 Tagen das große Fehlen auf dem Ultraschall sah, sickerte es nur langsam in mein Bewusstesein. Wie betäubt fuhr ich anschliessend mit dem Bus nach hause, schickte dem Mann vorab noch schnell eine Nachricht, bevor wir uns mit den Kindern am Abendbrottisch treffen würden. Wie wir danach den Abend verbrachten, weiss ich schon gar nicht mehr. Für mich war nur eines klar: ich kann nicht warten, daß es von alleine losgeht. Daß es mich irgendwo überrascht und womöglich so heftig wird, dass es ausser Kontrolle gerät. Meine Gyn legte mir den Gang ins Krankenhaus ebenfalls sehr nahe.

Am nächsten Morgen brachte der Mann also die Kinder zur Kita und Schule. Als er sich dann zuhause fertig machte, schrieb und veröffentlichte ich diesen vorigen Beitrag – also eigentlich schrieb ich einen vorbereiteten Beitrag ein bisschen um und zuende. Diese Worte hätte ich sonst nie alle so zusammenbekommen.

Kurz vor 10 waren wir dann im Krankenhaus und ich war auf Tipp meiner Ärztin nüchtern geblieben, was sich als sehr vorteilhaft erwies. So konnte ich nach einer bestätigenden Untersuchung im Schnelldurchlauf alle Aufnahmestationen inklusive Anästhesieaufklärung durchlaufen und fand mich um 12 Uhr mittags endlich alleine auf meinem Zimmer wieder. Den Mann schickte ich heim – es war nicht klar, um wieviel Uhr ich dran kommen würde und irgendeiner musste die Kinder wieder einsammeln.

Ich hatte Glück im Unglück und ein sehr komfortables Einzelzimmer, wobei mich einzig und allein nur das Bett interessierte: Ankommen. Ausruhen. Heulen.

Ich führte die beiden Tabletten Cytotec ein und wartete darauf, dass das leichte Ziehen, welches mich schon den ganzen Morgen begleitete, stärker werden würde. Auch mit Krämpfen oder leichten Wehen rechnete ich, aber ich merkte kaum etwas von dem Medikament, welches den Muttermund aufweichen und damit die Operation erleichtern soll.

Mir war weder schlecht noch hatte ich andere Anzeichen, dass ich noch schwanger bin. Obwohl ich das letzte Mal vor mehr als 12 Stunden etwas gegessen hatte, verspürte ich keinen Hunger. Ich lag in diesem riesigen Krankenhausbett, fror wie ein Schneider und döste mit Nebel im Kopf vor mich hin. Aber es war okay. Ihr da draussen habt an mich gedacht und Eure Nachrichten haben mich eingehüllt wie eine warme Decke und davon getragen. Das war einfach nur wunderbar! Ich weiss gar nicht, wie ich mich dafür bedanken soll… Die Zeit stand still und ich dachte nach über das kleine Wesen in meinem Bauch und die vielen Möglichkeiten, die es in sich getragen hatte. So viele Möglichkeiten, die es nun nicht mehr geben sollte. So viel Freude, die ich mir selber versagt hatte, weil ich es geheim gehalten habe. So viele Male, wie so etwas tagtäglich auch anderen Frauen passiert. So viele Gründe, warum es passiert.

Plötzlich ging alles ganz schnell: die Schwester betrat das Zimmer und wartete, bis ich mich umgekleidet hatte (OP-Hemdchen, Einwegslip und Thrombosestrümpfe). In der nächsten halben Stunde lernte ich sehr viele Menschen kennen, die sich alle irgendwie um mich kümmern mussten und dabei so nett waren, dass ich mich am liebsten nochmal dafür bedanken würde. Zum Abschied wünschte mir jeder „Alles Gute!“ doch dabei musste ich immer schlucken.
Nix war gut. Nix würde gut werden.
Ich wurde mit dem großen Bett nach unten gefahren, was mir sehr unangenehm war: Ich hätte doch laufen können! Anstatt selbst auf eine OP- Liege umzusteigen, wurde ich über einen witzigen Tisch mit verschiebbarer „Tischdecke“ umgebettet. In einem Vorraum wurde mir dann nach einem schmerzhaften Fehlversuch der Zugang gelegt. Ich weiss nicht, wie oft mein Name und mein Geburtsdatum in dieser kurzen Zeit kontrolliert wurden. Immer hiess es: „Ach, Sie sind doch noch so jung! Machen sie sich keine Sorgen wegen dem Eingriff, es wird alles gut gehen!“
Nein, nichts war gut!!!

Die Ärztin, die ich 4 Stunden vorher kennengelernt hatte, konnte die OP doch selber durchführen, begüßte mich kurz und dann begann auch schon die Narkose. Ich liess mich wegdriften… endlich schlafen und vergessen.

Viel zu schnell wurde ich keine halbe Stunde später wieder wach. Leer. Ohne Kind im Bauch. Unschwanger.

LeereHuelle

Die nächsten Stunden verbrachte ich wieder auf meinem Einzelzimmer. Döste, weinte, las weitere liebe Nachrichten auf meinem Handy, schaute etwas fern und wartete irgendwann ungeduldig auf meine Entlassung. Der Mann und die Kinder warteten knapp 2 Stunden (mit einer Pommes- Unterbrechung) unten im Auto auf mich.

Fast 12 Stunden nach meinem Aufbruch kamen wir wieder zuhause an. Die Große schlief direkt weiter, die Kleinen brauchten noch etwas und wollten unbedingt zu mir ins große Bett. Nach dem großen Krankenhausbett kommen mir „meine“ 60 Zentimeter im Familienbett plötzlich sehr kuschlig vor. Der Bub zog plötzlich seinen Schlafanzug hoch und bestand darauf, dass ich meine Hand auf seinen warmen Kinderbauch lege. Eine Geste, die meiner Hand noch sehr bekannt vorkam.

Schon am Samstag ging es mir bis auf die Mattheit schon wieder ganz okay, also körperlich. Der Beckenboden schwächelt, das merke ich deutlich. Und schlafen könnte ich ständig.

Seitdem schlage ich mich so durch: Familienalltag, letzte Geburtstagsfeierlichkeiten für die große nun 6jährige Tochter und nicht zuletzt die Bindehautentzündung der Kleinen, die mir mein sehnsüchtig erwartetes kleines Wochenbett zuhause in den letzten beiden Tagen etwas verhagelt hat. Dazu weicht mir die Kleine aktuell nicht mehr von meiner Seite – schon seit Wochen schläft sie die 2. Nachthälfte nur in meinem Arm weiter und ist auch tagsüber etwas anhänglicher gewesen – ich dachte jedoch, das gibt sich wieder und hätte mit meiner Jobabwesenheit zu tun. Aber seit einigen Tagen ist es noch viel extremer geworden: ich kann nicht den Raum verlassen, ohne dass sie mir hinterher kommt. Alleine auf Toilette gehen? Nur mit Gebrüll auf der anderen Seite der Tür. Mal in Ruhe auf dem Sofa liegen? Sofort sitzt sie auf mir, will hüpfen, zubbelt an meinen Haaren. Es ist anstrengend, dabei überhaupt etwas Raum und Ruhe für mich zu bekommen. Ich muss darum kämpfen, heute ist der erste Tag an dem ich wirklich ganz allein bin. Gestern abend hätte ich die Wände hochgehen können, als sie nur unter Gebrüll ins Bett ging. Ich konnte einfach nicht mehr und bin ins Wohnzimmer geflüchtet. Der Mann musste übernehmen.

Mein Herz blutet – mein Körper blutet. Wie geblendet stand ich in der Drogerie vor dem Regal mit den Binden: mit Flügel oder ohne? Vollplastik, Halbplastik oder sogar mit Seidenoberfläche? Nach jedem Aufstehen fühle ich unangenehm, warum ich die Dinger brauche. Im richtigen Wochenbett, stillend und mit Neugeborenem war mir das irgendwie immer ziemlich egal gewesen. Jeder Toilettengang erinnert mich momentan daran, was passiert ist. Die blauen Flecken der Zugänge tun es in der Zeit dazwischen (ich sehe am Unterarm aus wie verprügelt). Ich kaufe wieder Schwangerschaftstests – um zu sehen, wie schnell das HCG aus meinemKörper wieder verschwindet. Denn noch mehr Fehlen im Büro will ich in nächster Zeit nur im Notfall und nach Möglichkeit nicht alle 2 Wochen zur Blutabnahme müssen.

Das Paket mit der bestellten Umstandskleidung kam doch tatsächlich einen Tag nach dem Eingriff hier an (und ist schon wieder auf dem Rückweg, weil eh nichts passte). Ich begrüßte am Sonntag irgendwie den neugeborenen Babyneffen und frage mich ständig, ob ich eine neue Schwangerschaft überhaupt noch aushalten könnte. So viel Kraft, die mir gerade fehlt. So viel Hoffnung und Freude, die ich zuerst versteckte und die sich dann einfach so zerschlug.

Geht das irgendwann wieder? Und wie viel Angst werde ich dann haben?

(Hätte ich vielleicht doch weniger Kaffee trinken sollen? Und was ist mit meinem geliebten Lakritz – war das zuviel? Wäre es anders gewesen, wenn ich mich mehr ausgeruht hätte? War es der Wein in der 1. Zyklushälfte? Habe ich am Wickeltisch nicht genug auf Tritte aufgepasst? Die Erkältung hatte ich auch nicht richtig auskuriert… Das alles geht mir manchmal noch durch den Kopf – auch wenn ich weiss, dass es sehr wahrscheinlich überhaupt gar nichts damit zu tun hat)

Viele von Euch haben mir so liebe Zeilen geschrieben, haben etwas Ähnliches bereits auch erleben müssen. Viele haben anschliessend ganz normale Schwangerschaften erlebt und gesunde Kinder bekommen, das macht Mut.

Ich danke Euch für Eure Offenheit <3


Ich habe wirklich überlegt, was ich mit den ganzen unveröffentlichten Beiträgen mache – schon gestern habe ich einen ersten Teil online gestellt, weil sie dazu gehören. Der zweite Teil ist seit eben zu lesen. Sie würden auf dem Blog sonst fehlen.

Eine Ahnung und ein leichter 2. Strich

11 Tage nach Eisprung ist es deutlich: Da ist etwas unterwegs!

Wie sage ich es dem Mann?

4+0 bzw. Beginn der 5. Woche

Zusammenfassung der 5. Schwangerschaftswoche

Die 6. Schwangerschaftswoche

Der neue Job (7. SSW)

Wubttika und ein erster Arztbesuch (8. SSW)

Zusammenfassung 9. Schwangerschaftswoche


Ein Gedanke zu „Eine kleine Geburt, ein kleines Wochenbett {Sternenkind 10/2015}“

  1. Gut, dass du dir einen Augenblick zwischendurch nimmst. Ein Augenblick für dich, dein Wochenbett, dein Sternkind, deine Trauer.
    Vielleicht hat die Anhänglichkeit der Kleinen genau damit zu tun. Dass sie die große Trauer, den großen Verlust spürt, aber nicht versteht, nicbt greifen kann. Dass sie ihre Mama aber nicht in der Traurigkeit verlieren möchte, sie scheint deine Aufmerksamkeit aufzusaugen und niemals loslassen zu wollen. Vielleicht könnt ihr mit euren Kindern immer wieder über euer kleines Sternkind sprechen, ihnen und euch einen Raum geben, gemeinsam traurig und erinnernd sein zu dürfen, ihnen bedeuten, wie bedeutsam groß dieses kleine Wunder ist, das jetzt ganz anders da ist.
    Kinder können so viel mehr verstehen, als wir manchmal denken.

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