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„Was passiert wenn ein Mensch stirbt?“ Kinder und Abschied, Tod & Trauer

Schon lange schreibe ich an diesem Text: immer wieder formten sich in meinem Kopf die Worte und Sätze, abends im Bett oder auf langen Autofahrten – allein die Ruhe fehlte immer sie aufzuschreiben.
Oder war es genau so wie mit den Büchern, die ich mir Anfang des Jahres in der KiTa der Tochter auslieh und die dann doch Woche für Woche im Flur standen? Ständig in meinem Blick, doch nie in meiner Hand?

Trauerbegleitung

Anderes drängelte sich vor und war wichtiger, der richtige Moment fehlte und war dann doch irgendwann da. Ich schlug das erste Buch, der Besuch vom kleinen Tod, schweren Herzens zum Vorlesen und Anschauen auf, aber stellte ziemlich schnell fest: Meiner Tochter fiel es überhaupt nicht schwer, über die wunderschöne Geschichte zu sprechen! Ich selbst war diejenige, die mit den Tränen kämpfte und genau das verwirrte die Tochter.

Ich las den Beitrag von BerlinMitteMom , der mir im Kopf geblieben war über Kinder und Trauer erneut und wusste schnell, dass bei uns die Ausgangssituation eine ganz andere ist. In ihrem Beitrag  geht es um die Trauer von ihr als Mutter UND die unterschiedliche Trauer ihrer Kinder – bei uns trauere eigentlich nur ich, nicht das Kind.

Kinder als Messfühler für Stimmungen

Meine Tochter hatte nie eine sehr enge Bindung zu ihrem Opa gehabt, aber sie zeigt mir immer noch sehr deutlich, was für ein guter Messfühler sie für meine Stimmungen ist. Von daher habe ich während der folgenden Wochen für ihr Alter angemessen versucht, ihr einige Dinge deutlich zu machen:

„Ich und auch Oma, Onkel und Tante sind nicht so traurig, weil der Opa krank ist oder sterben muss, denn der Opa ist alt und hat schon viele schöne Jahre auf dieser Erde gelebt. Denn für jeden Menschen wird es einmal Zeit zu sterben und wir wussten ja schon ein bisschen länger, dass der Opa schwächer wird und einige Dinge nicht mehr so gut kann. Im Krankenhaus versuche man ihm zwar zu helfen, aber gegen das Alt- Sein kann man nicht unbedingt so viel machen.“
„Stimmt!“ warf sie ein, „Alt werden wir von ganz alleine, jeden Tag ein winzig kleines bisschen. Ich werde auch bald alt, denn nach dem Sommer habe ich Geburtstag und dann bin ich schon 6 Jahre alt! Aber so alt wie der Opa oder die Oma bin ich dann noch nicht.“

Ich für mich hoffe sehr, dass sie nicht so sehr seine Krankheit (den Krebs) als Grund für den Krankenhausaufenthalt ansieht, denn gerade die Verknüpfung Krankheit – Krankenhaus – Tod wollte ich unbedingt vermeiden. Vielleicht muss demnächst jemand ins Spital, der ihr viel näher steht und dann hat sie plötzlich Angst, dass derjenige auch stirbt?!

„Stattdessen bin ich (und auch die anderen) so traurig“ – erzählte ich ihr weiter – „weil der Opa ja mein Papa ist und bald nicht mehr da sein kann für mich. Denn auch wenn ich selbst schon gross bin und selber Kinder habe, so ist es doch schön ab und zu den eigenen Papa etwas fragen zu können, wenn ich mal nicht genau Bescheid weiss. Die Oma wird dann keinen mehr haben, für den sie kochen kann und muss abends alleine schlafen gehen.“
Das verstand sie sofort.

Die Übertragung von anderen auf sich

Wieder einige Zeit später, währenddessen es in ihrem Kopf gearbeitet hatte, bekam sie plötzlich  Angst dass ich – ihre Mama – bald sterben könnte und weinte deswegen abends in ihrem Bett. Doch im Gespräch kam sie sehr schnell darauf, dass es eigentlich eine Reihenfolge gibt: Zuerst würden ihre Urgroßeltern sterben, weil die ja am ältesten seien. Und dann die beiden Omas. Und dann wären ja eigentlich erst Mama und Papa dran.
„Zwar kann das keiner garantieren, dass es genau dieser Reihenfolge nach geht, aber ich selber habe eigentlich noch nicht vor zu sterben. Ganz sicher nicht! Von daher will ich noch gaaaaanz lange für Dich da sein.“
„Und Oma willst Du ja auch werden, oder Mama?“
„Genau! Aber dafür musst Du zuerst groß werden und auch ein Baby bekommen und das dauert noch!“

Neue Wege

Was passiert wirklich, wenn ein Mensch stirbt?

Während mein Vater im Hospiz betreut wurde, war die Tochter zum Glück nicht bei mir, sondern zuerst beim Mann und dann für ein langes Wochenende bei ihrem Vater. Das verschaffte ihr eine halbwegs unbeschwerte Zeit und mir den nötigen Freiraum, für mich als Tochter mit meinem Vater abzuschliessen und mit meiner Familie zusammen von ihm Abschied zu nehmen.

Papa war teilweise nicht mehr er selbst, in anderen Augenblicken handelte er scheinbar so normal, dass es wie ein grosser Irrtum schien. Viele Fragen schwirrten durch meinen Kopf.
Wie würde es passieren?
Würde er einfach nicht mehr aufwachen?
Würde ich dabei sein?
Wie lange kann ein Mensch ohne Nahrung eigentlich überleben?
Wird Papa noch wie Papa aussehen?

Ich fand im Netz auf der Seite des Palliativnetz Solingen eine tolle PDF zur Sterbebegleitung, die meine Fragen nach Papas letzten Tagen vor dem Tod knapp und gut beantworten konnte, einige Dinge (z.B. seine Wesensveränderungen) für ganz normal erklärte, uns auf anderes vorbereitete (sein Schlaf mit offenen Augen, sein trockener wunder Mund) aber auch das aufzählte, was nach dem Sterben passiert. Das machte es mir viel leichter, dem unbestimmten Augenblick entgegenzusehen und mich nach seinem Tod noch kurz an sein Bett zu setzen, ihm mir anzuschauen und seine Hand zu halten – es wirklich zu begreifen.

Die Tage im Hospiz waren wirklich eine sehr intensive Zeit, die mich an meine Grenzen gebracht hat und im Nachhinein mit einer knappen Woche dann doch verdammt schnell vorbei ging.

Das Tochterkind hat große Sehnsucht nach mir und ist am Rosenmontag, ein Tag nachdem mein Vater starb, schon wieder bei mir und meiner Mutter. Für sie ist es ganz natürlich, dass der Opa eingeschlafen ist, sie erzählt glücklich vom Karnevalfeiern und begleitet uns bei einigen Besorgungen. So fahren wir auch am Friedhof vorbei, wo sie dem Grab ihres Onkels zuwinkt und sich dann korrigiert:
„Hallo Onkel UND hallo Opa!“ sagt sie und winkt jetzt nach oben.
„Die beiden feiern doch auch Karneval im Himmel, oder? Die haben sich bestimmt als Skelette verkleidet!“ plappert sie fröhlich, während meine Mutter und ich nicht wissen ob wir nun lachen oder weinen sollen. Wir grinsen schief und ich nehme mir fest vor, das Tochterkind gut auf die Beerdingung vorzubereiten, ohne dabei zu viel vorwegzunehmen. Denn das Tochterkind möchte unbedingt bei der Beerdigung mit dabei sein und besteht auch darauf, obwohl sie die Traurigkeit um sich herum bemerkt und von mir auch nochmal erzählt bekommt, dass viele Menschen in der Kapelle weinen werden.

Die Beerdigung

Die Zeit bis zur Beisetzung vergeht wie im Flug: die KiTa geht weiter, zuhause war einiges an Post liegen geblieben und viele Dinge waren zu organisieren. Wir verbringen schon die Nacht vor der Feier bei meiner Mutter. Als ich abends das Junebug in den Schlaf begleite, liegt neben mir auf der anderen Seite das Tochterkind und wir unterhalten uns noch leise über den nächsten Tag. Ich hatte ihr vorher erklärt, was während der Beerdigung passieren wird, dass danach auch alle wieder fröhlich sein werden und ihr sogar Bilder einer Urnenbeisetzung gezeigt – denn warum sollte bitte eine kleine Vase in die Erde kommen, wo doch der Opa ein großer Mann war? Ich fühle mich eigentlich ganz gut vorbereitet auf den morgigen Tag und frage sie leise, ob sie sich immer noch freue die Kapelle endlich einmal von innen zu sehen. Diese ist zwar großflächig verglast, war aber auf den vorherigen Friedhofsbesuchen entweder verschlossen oder besetzt.
„Halt, Mama! Nicht weitererzählen!“ unterbrach sie mich „Ich weiss auch ganz genau was in der Kapelle drin ist!“
„Ja, darüber hatten wir heute nachmittag gesprochen“
„Genau! Da steht der Backofen drin, damit der Opa in die Vase passt, die wir dann beerdigen!“

Oooookay, dachte ich mir, gerade nochmal gut gegangen. Nichts ist schlimmer als unerfüllte Erwartungen…

Schlussendlich war die Trauerfeier wunderschön, die Beisetzung allerdings schrecklich. Meine Tochter hatte unsere große Anspannung gefühlt und brach – trotz oder gerade weil sie miteinbezogen worden war – am Grab in Tränen aus. Sie schluchzte und heulte und wollte nach hause, so dass viele der Gäste noch trauriger schauten („Ooooh! Das arme Enkelkind!“) was ihr Heulen zusätzlich verstärkte. Ich fühlte mich schrecklich, wollte ich doch bei meiner eigenen Mutter bleiben und anschliessend die Kondolenzbekundungen entgegenehmen, andererseits am liebsten mit der Tochter aus der Situation flüchten. Da ich aber wusste, dass das Tochterkind nicht wegen ihrem Opa, sondern nur aufgrund der allgemeinen Stimmung weinte, blieb ich und versuchte sie so zu trösten.
Schlussendlich löste meine Schwägerin mein Dilemma und ging mit ihr zum Parkplatz.

Ich bin mir dennoch sicher, dass es richtig war ihrem Wunsch zu entsprechen und sie zur Beerdingung mitzunehmen. Eine weitere vertraute Person hätte vielleicht noch dabei sein sollen, um sich um sie kümmern zu können. Aber ihr (und auch uns) wird die Erfahrung in Zukunft helfen, mit dem Thema Tod und Trauer in der Familie offener umzugehen.

Denn der Tod gehört dazu zum Leben und meine Tochter hat mir gezeigt, wie einfach es sein kann darüber zu sprechen.

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