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Abschied, vorgezogener?

Es ist abend und das Mini-M kann nicht in den Schlaf finden, aber das Tochterkind schläft schon. Ich sitze daher mit meinem kleinen Mann auf meinem Bett im dunklen Schlafzimmer, er liegt halb auf meinem Brustkorb und ich summe ihm die immer gleichen vier Töne vor. Er wird ruhiger und meine Gedanken gehen auf Wanderschaft. Zum Geburstagskaffee meiner Schwester zwei Tage später. Zur Familie, die wohl endlich einmal wieder vollständig anwesend sein wird. Wie sehr ich mich freue, den kleinen Babyneffen wiederzusehen. Und dass wir dann endlich ein Foto vom Mini-M neben seinem Cousin machen müssen. Und dass es noch immer kein Foto vom Mini-M auf dem Arm seiner Urgroßeltern gibt. Die wollten ihn bis jetzt nämlich noch nicht halten, ich vermute aus Angst ihn fallen zu lassen. Vor 3 Jahren beim Tochterkind war dies noch keine Frage: selbstverständlich muß das 1. Urenkelchen auf den Arm!

Ach ja… alt sind sie geworden. Jetzt aber wirklich. Die 83 Jahre lassen sich nicht mehr wegdisktuieren. Vielleicht so 5 bis 10 Jahre wenn man die Augen ein wenig zusammenkneift, aber die Zipperlein werden schlimmer. Erzählte die Tante kürzlich am Telefon, daß bei ihrem wöchentlichen Besuch der Opa meistens noch vom Mittagsschlaf im Bett liegt und erst wieder am frühen Abend herunter kommt. Der Rücken zwicke ihn so. Daß die Oma am Sonntag keinen Kartoffelsalat mitbringen wird, weil ihr die Hand so vor Arthrose schmerzt daß sie schon 2 Tage vor dem Termin beim Arzt auf der Matte stand. So etwas wäre vor 10 Jahren noch Dinge der Unmöglichkeit gewesen, auch wenn da beide schon kurz vor ihren Herzinfarkten standen (die aber sehr gut ausgingen).

Aber… denke ich weiter… aber die können doch jetzt nicht so einfach alt werden! So richtig alt meine ich! So mit Demenz vielleicht und Krankheit und so, was sie immer von ihrem schon stark geschrumpften Freundeskreis erzählen… das geht doch nicht! Die waren doch immer fit! Die Oma war stundenlang mit uns als Teenies in der Stadt  unterwegs gewesen, Geburtstagsgeschenke aussuchen und zurücklegen und kaufen und der Opa, der hat uns ganz viele Möbel selbst geschreinert und als Kindergartenkinder in der Schubkarre im Garten umhergefahren, bis wir vor Lachen alle durcheinander purzelten! Sie käbbeln sich noch immer so wie früher, reden noch ein wenig mehr an einander vorbei und werden – ich gebs ja zu – immer ein wenig schrulliger.

Aber ich weiß, daß es so kommen wird – zwangsläufig –  weil jeder Tag den wir älter werden auch sie älter macht. Und dann fällt mir auf, was ich immer noch mal fragen wollte. Wie das so war nach dem Krieg. Wo die Oma denn genau herkommt und vielleicht auch warum sie flüchten mußten. Und dann danach in den 50ern, so mit dem Wirtschaftswunder. Und ob sie mir etwas aus ihren alten Fotoalben von früher erzählen. Und… hach… noch eine ganze Menge mehr. Dann gibt es da wiederum so viel, was ich ihnen noch sagen möchte. Für diese wunderbaren Erinnerungen möchte ich mich bedanken. Für dieses Gefühl von großer Gebrogenheit welches mich überkommt, wenn ich an sie denke. Oder etwas rieche, was nach diesem ganz speziellen Duft nach Oma und Opa riecht. Für Opas Unterstützung in Sachen Kunst und Heimwerken, unsere geteilte Leidenschaft fürs Lesen und insbesondere Krimis, für Omas Heimeligkeit in Form von Bömbsken aus der Schublade unter dem Kühlschrank und ihren grandiosen Kartoffelsalat. Dafür daß sie eine richtige Oma ist mit silbriger Dauerwelle und vor allem eines: sie hatten beide immer Zeit für uns (damals noch kleinen) Enkelkinder.

Und spätestens zu diesem Zeitpunkt liefen (und laufen jetzt auch wieder) die Tränen heiß meine Wangen herunter. Ich habe Angst, daß mir später die Gelegenheit fehlen wird ihnen dies zu sagen und bzw. daß es dann nicht (mehr) richtig bei ihnen ankommt. Diese Sachen meinen Großeltern gegenüber anzusprechen oder in ihnen in einem Brief zu schreiben kommt mir jedoch so vor, als würde ich Abschied nehmen. Oder zumindest den Abschied beginnen lassen. Aber das will ich doch noch gar nicht!

Fürs Erste werde ich versuchen, sie öfter mit meinen beiden Kindern zu besuchen, vielleicht wird so eine Art Regelmäßigkeit daraus. Das wäre schön.

Und den Rest wird die Zeit wohl bringen.

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